Zu Tode entsetzt hatte ich die Nachricht empfangen; ich war gerade von meiner Arbeit nach Hause gekommen, als es an der Tür klingelte. Meine Schwägerin stand vor der Tür und erzählte mir, dass mein Bruder Gerard während seiner Arbeit einen Herzstillstand erlitten habe und ins Krankenhaus gebracht worden sei. Die Situation war ernsthaft. Ich wankte auf meinen Beinen, als ich dies hörte, und hatte Mühe, mich aufrechtzuhalten. Gerard, der nie krank gewesen war und mitten im Leben stand! Unbegreiflich! Wir stiegen sofort ins Auto und fuhren zum Krankenhaus. Im Krankenhaus müssten wir im Raum warten neben der Station, in der Gerard noch behandelt wurde. Nach kurzer Zeit kam der zuständige Arzt zu uns und teilte uns mit, dass man alles versucht habe, dass es aber leider nicht gelungen sei, sein Leben zu retten. Meine Schwägerin und ich durften zu ihm. In meinem Gefühl war ich allein. Ich wusste nicht, welcher Situation ich begegnen würde, weil man für mein Gefühl lange mit Gerard beschäftigt gewesen war, erst an seinem Arbeitsplatz, dann im Krankenwagen und schließlich im Krankenhaus.
Ich war auf das Schlimmste vorbereitet. Ich betrat das Zimmer, sah ihn liegen und lief auf ihn zu, und ganz unerwartet sah ich ein sehr strahlendes, fast leuchtendes Gesicht. Er lag da, als ob er schliefe. Ich fühlte, dass mich dieses Bild tief in meiner Seele traf, und das erste, das in mir hochkam, war der Gedanke „glücklich, er ist ganz schön hinübergegangen”. Darüber war ich sehr froh, denn ich gönnte ihm dies aus dem Tiefsten meiner Seele, aber dass er niemals mehr für uns und für mich auf Erden sein würde, konnte ich noch nicht verstehen. Dicht bei seinem Körper und Wesen verweilend, erfuhr ich eine unbeschreibliche Liebeskraft. In diesem Augenblick war ich nicht traurig; es war ein nahezu heiliger, ganz intensiver Moment, unbeschreiblich schön.
Von diesem Augenblick an war nichts mehr wie bisher; es war, als lebte ich in einem Rausch und könne nur noch dieses intensive Erleben erfahren. Ich wollte nach alldem allein sein, zwar wohl geborgen bei mei-ner Familie, aber nicht in Kontakt mit anderen. Ich wollte in diesem innigen Erleben bleiben, wollte erfahren, wie es sei, in dieser Verbundenheit zu leben. Ich konnte nicht anders, denn diese Erfahrung war zu überwältigend. Das Weitere blieb mir noch verborgen und ich verharrte gern in diesem liebevollen und glückseligen Moment. Ich spürte, dass dieses Erlebnis mein Leben endgültig ändern würde; in der Folge vollzog sich eine radikale Umkehr.
Nach der Einäscherung suchte ich Kontakt mit Geistlichen, um über meine Erfahrung zu sprechen. Ich war davon so erfüllt, ich suchte Antworten auf meine Fragen, über die aber noch keine Klarheit bestand. Ich wollte einfach darüber sprechen und eine Art „Erkenntnis” erlangen. Ich fand keinen Anschluss. Ich ging weiterhin auf Suche und fand eine Gruppe freidenkender religiösen Menschen, die einander öfters trafen; aber auch bei ihnen fand ich keinen Anschluss und erlebte keine Offenbarung. Ich entschloss mich daraufhin, nicht mehr darüber zu sprechen, sondern über Situationen, wie ich sie erlebt hatte, zu lesen. So fand ich Übereinstimmungen und Sinn und fühlte mich dadurch gestützt.
Zugleich saß ich im letzten Jahr meiner Ausbildung an der Modeakademie in Eindhoven. Obwohl mir diese dreijährige Ausbildung bis dahin vieles gegeben hatte, das ich später in meinem Beruf nutzen könnte, befriedigte mich diese Tätigkeit zu dieser Zeit gar nicht mehr, und ich hörte damit auf. Ich lebte in einer ganz anderen Welt. Auch mit meinem Malwerk, das ich bisher gepflegt hatte, fühlte ich wenig bis keine Verbindung mehr.